Ein Glas Rotwein am Abend – das klingt nach Genuss, Entspannung und einem Hauch mediterraner Lebenskunst. Doch oft wird dem edlen Tropfen noch mehr nachgesagt: Er soll das Herz stärken, vor Infarkt schützen und sogar das Leben verlängern. Besonders der Pflanzenstoff Resveratrol, der aus der Schale roter Trauben stammt, gilt als Wundermittel.
Die Vorstellung vom „gesunden Rotwein“ ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert – und wird von Medien, Werbung und sogar Gütesiegeln befeuert. Doch stimmt das wirklich? Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat gemeinsam mit der Plattform medizin-transparent.at genau hingesehen. Ihr Fazit: Der gesundheitliche Nutzen von Rotwein ist wissenschaftlich nicht belegt.
Was steckt hinter dem Gesundheitsruf?
Rotwein enthält sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole und Flavonoide, darunter das oft zitierte Resveratrol. Diese Stoffe wirken im Labor antioxidativ und entzündungshemmend. Doch was im Reagenzglas vielversprechend aussieht, lässt sich nicht automatisch auf den Menschen übertragen – und schon gar nicht durch ein Glas Wein pro Tag.
Zahlreiche Studien untersuchten die Auswirkungen von Rotwein auf die Gesundheit. Besonders oft werden Beobachtungsstudien zitiert, in denen moderate Rotweintrinker gesünder abschneiden als Menschen, die keinen Alkohol konsumieren. Das klingt überzeugend – ist aber trügerisch.
Verzerrte Ergebnisse: Der Denkfehler in vielen Studien
Ein Problem bei vielen Studien: Menschen, die keinen Alkohol trinken, tun dies oft aus gesundheitlichen Gründen. Sie leiden häufiger an chronischen Erkrankungen, haben Vorerkrankungen oder haben aus früherem Alkoholmissbrauch Konsequenzen gezogen. Vergleicht man diese Gruppe mit moderaten Weintrinkern, wirken Letztere automatisch gesünder – doch das liegt nicht am Wein, sondern an den Startbedingungen.
Der VKI betont: Solche Verzerrungen verfälschen die Ergebnisse. Für verlässliche Aussagen braucht es sogenannte randomisierte kontrollierte Studien – also Untersuchungen, bei denen Teilnehmende per Zufall Rotwein oder keinen Alkohol konsumieren. So ließe sich der tatsächliche Effekt des Rotweins isolieren.
Was sagen hochwertige Studien?
Tatsächlich gibt es einige dieser besser designten Studien – allerdings mit Einschränkungen. Sie wurden meist mit kleinen Teilnehmerzahlen und über kurze Zeiträume durchgeführt. Statt Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu messen, konzentrierten sie sich auf Blutdruck- und Cholesterinwerte.
Das Ergebnis: Rotwein senkt weder den Blutdruck noch den Cholesterinspiegel. Ein Herzschutz konnte ebenso wenig nachgewiesen werden wie eine schädliche Wirkung in moderaten Mengen. Die wissenschaftliche Bilanz bleibt daher unklar – aber eines ist sicher: Ein gesundheitlicher Nutzen ist bisher nicht bewiesen.
Gesundheits-Gütesiegel für Rotwein – mehr Marketing als Wissenschaft?
Im Frühjahr 2025 sorgte die Plattform „Wein und Gesund“ für Aufsehen: Sie verlieh ein Gesundheits-Gütesiegel an ausgewählte österreichische Rotweine. Begründung: Diese Weine enthielten Inhaltsstoffe „mit optimaler Auswirkung auf den Organismus“.
Der VKI reagierte kritisch. Denn für ein solches Gütesiegel sollten verlässliche wissenschaftliche Beweise vorliegen. Die gibt es im Fall von Rotwein jedoch nicht. Wer mit Gesundheit wirbt, trägt Verantwortung – auch gegenüber Konsument:innen.
Der Alkohol bleibt das Risiko
Unabhängig von etwaigen Pflanzenstoffen im Wein bleibt Alkohol ein gesundheitlich problematischer Stoff. Schon bei geringen Mengen erhöht er das Risiko für:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Krebs (besonders Mund, Rachen, Leber, Brust)
- Psychische Erkrankungen
- Lebererkrankungen
- Sucht und soziale Probleme
Das bestätigt nicht nur der VKI, sondern auch internationale Gesundheitsbehörden. Je mehr und regelmäßiger getrunken wird, desto höher steigt das Risiko.
Was ist „moderater Konsum“?
Viele Studien orientieren sich bei der Definition von „moderat“ an festen Obergrenzen – doch selbst diese gelten nicht als unbedenklich, sondern lediglich als risikoarm. Die Faustregel:
🔹 Frauen: maximal 1 Achtel Rotwein pro Tag
🔹 Männer: maximal 2 Achtel Rotwein pro Tag
🔹 Mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einplanen
Diese Mengen bedeuten keine Gesundheitsförderung – sie senken lediglich das Risiko von Schäden im Vergleich zu höherem Konsum.
Traubensaft statt Rotwein?
Die gesunden Pflanzenstoffe wie Resveratrol kommen aus der Schale roter Trauben. Sie finden sich auch in:
- Traubensaft (besonders unfiltriert)
- Beeren wie Heidelbeeren, Johannisbeeren, Preiselbeeren
- Grünem Tee und Kakao
Wer auf Alkohol verzichten möchte – oder sollte – kann also problemlos auf diese Alternativen ausweichen. Der gesundheitliche Effekt dürfte ähnlich oder sogar besser sein – ganz ohne Risiko.
Hoffnung auf bessere Daten
Eine groß angelegte Studie, die 2024 in Spanien gestartet wurde, will Klarheit schaffen. Dabei sollen mehr als 10.000 Menschen über vier Jahre hinweg begleitet werden. Die Zuteilung zur Rotweingruppe oder Kontrollgruppe erfolgt per Zufall. Anders als bisherige Studien wird sie konkrete Ereignisse wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle untersuchen – nicht nur Blutwerte. Ergebnisse werden jedoch erst frühestens 2028 erwartet.
VKI-Empfehlungen zum Alkoholkonsum
Alkohol: Maß halten – Risiken senken |
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Frauen: max. 1 Achtel Wein/Tag |
Männer: max. 2 Achtel Wein/Tag |
Trinkpausen: mind. 2 alkoholfreie Tage/Woche |
Vermeiden bei: Schwangerschaft, Medikamenteneinnahme, Leberproblemen, Suchtgefährdung |
Besser: Alkoholfreie Alternativen wie Traubensaft, Beeren oder Tee |
Fazit: Genuss ja – Gesundheitsversprechen nein
Rotwein ist ein Genussmittel – nicht mehr, nicht weniger. Wer ihn gerne trinkt, kann das in Maßen tun. Ein medizinischer Nutzen ist jedoch nicht belegt. Wer seine Herzgesundheit aktiv fördern möchte, setzt besser auf bewährte Maßnahmen: ausgewogene Ernährung, Bewegung, Rauchverzicht und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.
Der VKI rät zur kritischen Bewertung von Gesundheitsversprechen, gerade wenn sie mit Genussmitteln verbunden sind. Denn echte Prävention braucht mehr als ein Glas Rotwein.