Start Graz Chronik Frankreichs Militärvertreter in Graz: Warum Paris jetzt aufrüstet

Frankreichs Militärvertreter in Graz: Warum Paris jetzt aufrüstet

Frankreich Verteidigungsattache zu Gast in Graz
Stellvertretender Verteidigungsattaché an der französischen Botschaft in Wien, Kommandant Jehan Hartmann (li) und der Präsident der Offiziersgesellschaft Steiermark, Oberstveterinär Dr. Karl Bauer (re)

Auf Einladung der Offiziersgesellschaft Steiermark war Kommandant Jehan Hartmann, stellvertretender Verteidigungsattaché an der französischen Botschaft in Wien, am 4. Juni 2025 in die Belgierkaserne Graz gekommen. Dort sprach er über die Verteidigungsstrategie Frankreichs.

Frankreich, das wurde schnell deutlich, versteht sich nicht nur als europäische Führungsmacht, sondern als globaler Akteur mit historischer Tiefe, strategischem Anspruch und weltweiter Präsenz.

Nukleare Abschreckung: Die „Force de Frappe“

Force de Frappe

Im Zentrum des französischen Sicherheitsdenkens steht die atomare Abschreckung. Frankreichs sogenannte „Force de Frappe“ basiert auf drei Säulen: zwei einsatzbereiten U-Booten mit Atomraketen, einer Staffel luftgestützter Systeme und einem Flugzeugträger mit nuklearfähiger Marinefliegerei. Über den Einsatz dieser Waffen entscheidet einzig der französische Präsident – ein Alleinstellungsmerkmal in der westlichen Welt.

Doch Frankreich denkt diese Verantwortung weiter. Laut Hartmann sei die Abschreckung „nicht nur national, sondern auch europäisch zu verstehen“. Auch wenn die Kontrolle über Atomwaffen nicht geteilt werde, gelte die strategische Schutzfunktion für ganz Europa – im Sinne einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur.

Es ist besser eine 100% sichere (atomare) Abschreckung zu haben als ein 95 Prozent sicherer Raketenschild.

Präsident als Oberbefehlshaber – mit weitreichenden Befugnissen

Die Machtfülle des französischen Präsidenten in Sicherheitsfragen ist bemerkenswert. So kann er französische Truppen ohne vorherige Zustimmung des Parlaments entsenden – für bis zu vier Monate. Erst dann muss das Parlament Stellung nehmen.

„Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke in Krisenzeiten“, sagte Hartmann. Gerade in internationalen Einsätzen sei schnelle Entscheidungsfähigkeit oft entscheidend. Ein Prinzip, das er aus eigener Erfahrung kennt: „Ich erhielt samstags den Befehl – sonntags war meine Kompanie bereit für Mali.“

Internationale Einsätze: Präsenz mit Gewicht

Frankreich Streitkräfte

Die französische Armee zählt rund 30.000 Soldaten, die weltweit stationiert oder in Bereitschaft sind. Frankreich engagiert sich in Afrika, im Libanon, im Indo-Pazifik – oft allein, oft im Verbund mit europäischen Partnern. Im Fokus stehen Sicherheit, Stabilität und die Verteidigung französischer Interessen – auch in Übersee.

Ein Beispiel ist Neukaledonien, wo Hartmann selbst im Einsatz war. Mehr als zwei Millionen französische Staatsbürger leben im indo-pazifischen Raum. „Es geht nicht nur um Prestige, sondern um ganz konkrete Landesverteidigung“, betonte der Offizier.

Europas Rolle: Strategische Autonomie statt Abhängigkeit

Frankreichs Verhältnis zur NATO ist von Ambivalenz geprägt. Einerseits ist man engagiertes Mitglied, andererseits sprach Präsident Macron 2019 von der „Hirntod“-Diagnose des Bündnisses. Doch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat vieles verändert.

Jetzt hat jeder Infanteriezug drei Drohnen – das war vor drei Jahren undenkbar.

Frankreich verfolgt daher das Ziel einer strategischen Autonomie Europas – nicht im Gegensatz zu den USA, sondern als ergänzende Kraft. „Europa muss lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen“, so Hartmann. Österreich zähle hier zu den Unterstützern – nicht zuletzt wegen seiner geopolitischen Lage.

Schulden ja – aber nicht bei der Verteidigung

Frankreich kämpft mit einer hohen Staatsverschuldung. Das Defizit lag zuletzt bei 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dennoch bleibt die Verteidigung Chefsache – und genießt parteiübergreifende Unterstützung. Für die Jahre 2024 bis 2030 hat das französische Parlament 13 Milliarden Euro zusätzlich für das Verteidigungsbudget freigegeben. Das Ziel: drei Prozent des BIP für die Sicherheit des Landes.

Auch innenpolitisch ist das Thema bedeutend. Als Beispiel nannte Hartmann Präsident François Hollande, dessen außenpolitischer Erfolg in Mali als sein größter Verdienst gilt – nicht etwa innenpolitische Reformen.

Der Kampf um Einfluss in Afrika

Ein besonders sensibler Bereich ist Afrika. Frankreich ist dort militärisch, wirtschaftlich und historisch präsent – stößt aber zunehmend auf Widerstand. Der Einfluss russischer Propaganda wachse, sagte Hartmann, und stelle eine ernsthafte Bedrohung dar. Es gehe nicht mehr nur um Soldaten, sondern um Meinungen, Narrative und digitale Kämpfe.

Migranten Routen nach Europa

Ein weiterer Aspekt sei die Migration. „Das Albtraumszenario ist die strategische Instrumentalisierung von Migrationsströmen“, warnte Hartmann. Der Fall Belarus und Polen habe gezeigt, wie Staaten mit Menschen als Druckmittel operieren können. In Afrika könnte sich das wiederholen – mit weitreichenden Folgen für Europa.

Fazit: Frankreich als Verantwortungsträger Europas?

Der Vortrag in Graz war mehr als ein militärischer Lagebericht. Er war ein Plädoyer für ein handlungsfähiges Europa – mit Frankreich als Rückgrat. „Wir wollen nicht dominieren, aber wir wollen Verantwortung übernehmen“, so der Tenor.

Ob mit Nuklearwaffen, schnellen Eingreiftruppen oder diplomatischer Präsenz in Afrika – Frankreich sieht sich in der Pflicht. Und es macht deutlich: In einer unsicheren Welt wird Sicherheit kein Automatismus sein – sondern eine bewusste politische Entscheidung.

Frankreichs Verteidigungspolitik auf dem Prüfstand

  • Nukleare Abschreckung: Frankreich verfügt über eine voll funktionsfähige nukleare Triade – bestehend aus U-Booten, Kampfflugzeugen und einem atomwaffenfähigen Flugzeugträger. Die Entscheidung über den Einsatz liegt ausschließlich beim Präsidenten.
  • Europäische Dimension: Präsident Macron spricht sich klar für eine strategische Autonomie Europas aus – im Sinne einer Ergänzung zur NATO, nicht als Konkurrenz. Frankreich signalisiert Bereitschaft, seine nukleare Abschreckung auch im europäischen Kontext zu denken.
  • Auslandseinsätze: Rund 30.000 Soldaten der französischen Streitkräfte sind weltweit stationiert oder in Alarmbereitschaft – unter anderem in Afrika, im Libanon und im indo-pazifischen Raum.
  • Präsidentielle Macht: Der französische Präsident kann Truppen bis zu vier Monate ohne Parlamentszustimmung einsetzen – ein Sonderfall unter westlichen Demokratien.
  • Verteidigung trotz Schulden: Frankreichs Verteidigungsbudget soll bis 2030 auf 3 % des BIP steigen. Aktuell liegt es bei rund 2,1 % – trotz eines hohen Haushaltsdefizits von 4,7 %.
  • Einflusskampf in Afrika: Frankreich sieht sich in Afrika zunehmender russischer Propaganda ausgesetzt, vor allem durch Akteure wie die Wagner-Gruppe. Die Destabilisierung der Region wird als ernsthafte Bedrohung für Europa gesehen.

Links zum Thema:

at.ambafrance.org

Offiziersgesellschaft Steiermark

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